Kernenergie und Klettern

Seit 2006 ist Horst-Michael Prasser als Professor für Kernenergiesysteme am Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik (D-MAVT) tätig. Ende Januar 2021 wird der, wie er über sich selbst sagt, überzeugte «Kerni» emeritiert.

Professor Horst-Michael Prasser
Professor Horst-Michael Prasser

Nach 14 Jahren endet Ihre Zeit am D-MAVT. Was waren Ihre spannendsten Projekte an der ETH Zürich?

Es waren die Arbeiten zur Kühlmittelströmung in Siedewasserreaktoren. Wir haben Versuchsstände gebaut, die später zur Lösung ernsthafter Probleme beim Betrieb unserer Kernkraftwerke beigetragen haben. Es war immer spannend zu sehen, was unsere bildgebenden Messverfahren geliefert haben. Das war immer ein kleines bisschen wie «Bilder von der Rückseite des Mondes». Das Einschlagen von Tröpfchen in den dünnen Flüssigkeitsfilm, der den Reaktor noch sicher kühlt, aber auch das Austrocknen dieses Films, wenn die Leistung zu hochgefahren wird. Im Labor konnten wir das. Dazu haben wir 40 Liter Chloroform zum Sieden gebracht, um bei niedrigerem Druck und mit kleineren Heizleistungen arbeiten zu können als im richtigen Reaktor, und das war in sich schon mal ein kleines Abenteuer. Und dann haben wir es geschafft, die Strömung mit einer Röntgenanlage zu beobachten.

Und was davon hat Ihnen auf persönlicher Ebene am meisten Spass gemacht?

Ich habe am meisten Spass daran, wenn ich selbst bei Experimenten mitmachen kann und auch beim Programmieren von Software aller Art. Ich bin so oft wie möglich mit meinen Leuten zusammen im Labor gewesen. Das waren immer sehr produktive Stunden und schöne Momente, wenn mal was das erste Mal geklappt hat. Und Vorlesungen haben mir auch Spass gemacht.

An welche Situation aus Ihrem Arbeitsalltag werden Sie sich immer erinnern?

Ein einschneidendes Ereignis, wenn auch leider kein positives, war die Nuklearkatastrophe in Fukushima. Nach den Explosionen der Reaktorgebäude war mir sofort klar, dass da eine Kernschmelze läuft. Die Zusammenhänge kannten wir. Immerhin hatte ich als Laborleiter am Paul-Scherrer-Institut PSI eine Forschungsgruppe «Schwere Störfälle». In meinem allerersten Interview hoffte ich damals allerdings noch, der Betreiber könne durch Wassereinspeisung aus dem Notstandssystem die Auswirkungen begrenzen. Am nächsten Tag erfuhr ich dann jedoch, dass die Anlagen keine gebunkerten Notstandssysteme haben, wie sie bei uns in allen Kernkraftwerken schon lange vorher eingebaut worden waren. Diese Information war ein Schock für mich. Ich konnte dann in den vielen Sendungen und Interviews nur noch kommentieren, wie sich die Lage von Tag zu Tag verschlimmerte.

Einen unserer Laborausflüge werde ich auch so schnell nicht vergessen: Ein Gast aus Japan, ein Postdoc, der inzwischen daheim Professor ist, hatte sich in Melchsee-Frutt mit dem «Trotti», einem Tretroller, überschlagen. Gott sei Dank überlebte er. Ein freundlicher Lkw-Fahrer hat ihn mitsamt verbeultem Trotti ins Tal gebracht, und der Rest der Truppe ist betreten schweigend nach unten gerollt. Dort angekommen kam er uns schon auf eigenen Füssen entgegen – mit seinen Verbänden sah er aus wie eine ägyptische Mumie, aber er konnte lachen, und wir dann auch.

Was werden Sie nach Ihrer Emeritierung am meisten vermissen?

Den Enthusiasmus meiner Studierenden und besonders der Doktorierenden. Ich hatte immer super Leute, denn Kernenergie studiert man nur, wenn man genau weiss, was man machen will. Alle meine Studentinnen und Studenten waren super motiviert und möglicherweise deshalb sehr leistungsstark und kreativ. Nebenbei: Der Nuklearmaster hat einen höheren Frauenanteil als alle anderen Masterprogramme am D-MAVT.

Was sollten junge Wissenschaftler*innen unbedingt tun?

Spass haben an Wissenschaft und Forschung, neugierig sein. Sie sollen sich durch ihr Interesse und der Freude am Forschen leiten lassen. Die Karriere kommt dann ganz von allein in Schwung. Und raus in die Natur: Ich bin Kletterer, wandere viel und habe in der Schweiz das Skifahren gelernt. Wann immer möglich, fahre ich mit dem Velo ins PSI. Ich kann nur jedem empfehlen, sportlich aktiv zu sein.

Was sind Ihre nächsten Pläne?

Mehr Klettern, mehr Wandern, mehr Radfahren. Am Ansporn durch meine Frau fehlt es nicht. Wir sind ein Traumpaar – sie hängt gern mit mir in einer Felswand und kann richtig Skifahren, während ich versuche, hinterher zu kommen.

Dann will ich vor allem basteln, natürlich auf möglichst hohem Niveau. Ich denke, ich kann meine Messverfahren für Strömungsexperimente noch weiterentwickeln und da ist viel Elektronik dabei. Vielleicht kann man das Eine oder Andere auch vermarkten. Ich will das aber relaxed angehen. Den Kontakt zur ETH will ich natürlich halten, die Ausbildung und Forschung zur Kernenergie wird ja fortgesetzt – vielleicht kann ich hie und da dabei helfen. Am PSI habe ich mit meinen Leuten eine Deuterium-Plasma-Fusionsneutronenquelle für Messtechnische Zwecke und Tomographische Bildgebung gebaut. Jetzt, wo sie so gut läuft, würde ich gern bei Experimenten mitwirken. Wenn mich jemand zu einem Vortrag über Kernenergie einladen will, lasse ich mich nicht zweimal fragen. Ich bin und bleibe ein «Kerni», und ich denke, aus gutem Grund.

Was darf auch in Zukunft nicht auf Ihrem Schreibtisch fehlen?

Ein Oszilloskop und ein Lötkolben, Kletterführer in Reichweite.
 

Prof. Dr. Horst-Michael Prasser (65)
Professor für Kernenergiesysteme
Institute of Energy and Process Engineering/Labor für Kernenergiesysteme
Am D-MAVT: 2006-2021

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