Begabung und Glück
Eine Stelle an der ETH Zürich anzunehmen, war die wichtigste Weichenstellung in seinem beruflichen Leben: Davon ist Marco Mazzotti bis heute überzeugt. Ende Januar 2025 wird er in den Ruhestand gehen und weiss bereits, dass ihm der Austausch mit jungen Forschenden und die Arbeit an herausfordernden wissenschaftlichen Fragen sehr fehlen wird.
Welchen Moment aus Ihren 28 Jahren am D-MAVT werden Sie immer in Erinnerung behalten?
Marco Mazzotti: Während des ersten D-MAVT-Retreats, an dem ich einige Monate nach meiner Berufung als Professor teilnahm, wurden wir gebeten, unser bisher grösstes Erfolgserlebnis zu nennen. Ohne zu zögern, sagte ich: «ETH-Professor zu werden!» Bis heute bin ich derselben Meinung, denn meine Anstellung an der ETH Zürich machte alle nachfolgenden Erfolge möglich. Die ETH Zürich ist ein idealer Ort für zukunftsweisende Forschung, die für die Gesellschaft relevant ist. Sie bietet vollständige wissenschaftliche Freiheit und Zugang zu den besten Talenten und stellt dabei gleichzeitig die Ressourcen und die Unterstützung einer grossartigen Institution bereit.
In welchen Forschungsbereichen sind Sie tätig?
Meine Forschung befasst sich mit zwei unterschiedlichen Bereichen. Der erste ist für die chemische, pharmazeutische und Lebensmittelindustrie von Bedeutung und konzentriert sich auf Trennprozesse, insbesondere Adsorption, Chromatographie und Kristallisation. Diese Technologien sind unerlässlich, um die vielen chemischen Produkte, die wir benötigen, zu trennen und zu reinigen. Ein wichtiges Beispiel sind Medikamente, die aus chiralen Molekülen bestehen, die in der Natur in zwei spiegelbildlichen Formen vorkommen, wie linke und rechte Hände, sogenannte Enantiomere. Diese müssen vor der Formulierung als pharmazeutisches Produkt getrennt werden, da sie in unserem Körper unterschiedlich wirken können; so zeigt eine die gewünschte Wirkung zeigt, während die andere nutzlos oder sogar toxisch sein kann.
Der zweite Bereich befasst sich mit dem Klimawandel. Wir erforschen Lösungen, um die Kohlendioxidemissionen zu reduzieren und allgemein die Nachhaltigkeit in technischen und Energiesystemen durch technologische und systemische Fortschritte zu verbessern.
Wie sind Sie dazu gekommen?
Eigentlich begann es eher zufällig. Im Bereich Chromatographie habe ich erstmals während meiner Doktorarbeit am Politecnico di Milano geforscht. An der ETH Zürich habe ich mich dann der Kristallisation zugewandt, nachdem mir Fachleute aus der Industrie in Basel bei Gesprächen wissenschaftliche Wissenslücken und ungelöste Lösungen für bestimmte Prozesse aufzeigten.
Mein Interesse an Lösungen für das CO2-Management wurde durch einen meiner Masterstudenten geweckt, der seine Doktorarbeit zu einem umweltrelevanten Thema schreiben wollte und als Thema die Mineralisierung von Kohlendioxid in natürlichen und industriellen Materialien erforschen wollte. Ich selbst begann dann mich stärker im Bereiche Energiesysteme zu engagieren, nachdem ich angefragt wurde, dem Vorstand des Energy Science Center beizutreten, dessen Vorsitz ich dann auch später übernommen habe.
Unabhängig davon, wie man in ein neues Forschungsgebiet einsteigt, ist entscheidend, dass man es konsequent, systematisch und kreativ weiterverfolgt, indem man die passenden experimentellen, theoretischen und modellierenden Werkzeuge einsetzt. Während meiner gesamten wissenschaftlichen Laufbahn habe ich stets im ersten Schritt die wichtigsten wissenschaftlichen Fragen identifiziert und mich erst dann ihrer Lösung gewidmet.
«Ich habe mich immer weniger als klassischer Ingenieur, denn als angewandter Mathematiker gefühlt, der es geniesst, mathematische Erkenntnisse in wissenschaftliche Ergebnisse und relevante Anwendungen in der physischen und chemischen Welt zu verwandeln.»Marco Mazzotti
Was sind die wichtigsten Errungenschaften Ihres Labors an der ETH?
Ich habe mich immer weniger als klassischer Ingenieur, denn als angewandter Mathematiker gefühlt, der es geniesst, mathematische Erkenntnisse in wissenschaftliche Ergebnisse und relevante Anwendungen in der physischen und chemischen Welt zu verwandeln. Ich liebe es, diese Leidenschaft mit meinen Forschungskollegen zu teilen und dann Technologien im Labor neu zu erfinden, basierend auf dem Verständnis, das durch mathematische Modelle gewonnen wurde.
Ich bin besonders stolz auf unsere Beiträge in den Bereichen Adsorption, Chromatographie und Kristallisation, die sich auch in zahlreichen Veröffentlichungen und Auszeichnungen niedergeschlagen haben.
Ein weiterer bedeutender Erfolg sind die greifbaren Fortschritte beim CO2-Management, ein Bereich, in dem ich seit über 20 Jahren tätig bin. Zwei bedeutende Beispiele sind das Projekt DemoUpCARMA, bei dem wir zwei Wege für den Transport, die Nutzung und die dauerhafte Speicherung von Kohlendioxid aufgezeigt und umgesetzt haben, und die Forschung zur Mineralisierung von CO2, aus der das erfolgreiche Spin-off externe Seite Neustark hervorgegangen ist, das 2019 von einem meiner Doktoranden und einem externen Partner gegründet wurde.
Was fehlt Ihrer Meinung nach noch, damit die Wissenschaft Umweltprobleme wie den Klimawandel in Zukunft lösen kann? Kann es überhaupt gelingen?
Ich glaube, dass die Wissenschaft parallel drei verschiedene Ansätze verfolgen sollte, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Erstens sollten Wissenschaftler aufzeigen, dass es viele Technologien gibt, die bereits jetzt einsatzbereit sind und den Klimawandel erheblich eindämmen könnten. Zweitens sollten Wissenschaftler die bestehenden Technologien weiter verbessern und neue entwickeln, um so die benötigten Arbeitskräfte zu schaffen und die Wirksamkeit der Klimaschutzmassnahmen zu erhöhen. Drittens sollten Wissenschaftler – im Dialog mit der Gesellschaft und der Politik – die strukturellen Merkmale unserer Gesellschaft hinterfragen, die den Klimawandel verursachen, von Marktversagen in einer kapitalistischen Wirtschaft bis hin zur Vernachlässigung der planetaren Grenzen bei der Ressourcennutzung und der Ausbeutung der Erde.
In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass Walter Turnherr, der ehemalige Bundeskanzler des Schweizerischen Bundesrates, jetzt ETH-Professor ist und sich für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Politikern einsetzt. In einer Zeit, in der die Mehrheit der von den Regierungen weltweit erlassenen Gesetze und Vorschriften eng mit einer oder mehreren neuen technologischen Entwicklungen verbunden ist, erscheint mir dies besonders wichtig.
Worauf sind Sie am meisten stolz?
Auf meine Doktorandinnen und Forschungskollegen. Ich bin stolz auf das, was sie in der Vergangenheit erreicht haben, was sie heute erreichen und was sie in Zukunft erreichen werden, indem sie ihre wissenschaftlichen Talente und persönlichen Stärken einsetzen. Ich bin zuversichtlich, dass sie weiterhin bedeutende Beiträge zur Schweizer Gesellschaft und die Welt leisten werden.
Sie haben viele junge Forschende begleitet. Was raten Sie ihnen, wenn sie eine Karriere in der Wissenschaft anstreben?
Ich glaube, dass es wichtig ist, ein Forschungsgebiet zu finden, in dem man nicht nur kurzfristig, sondern langfristig etwas bewegen kann und die entscheidenden gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen angeht.
«Ich bin stolz auf das, was [meine Studierenden und Forschungskollegen] in der Vergangenheit erreicht haben, was sie heute erreichen und was sie in Zukunft erreichen werden…»Marco Mazzotti
Was tun Sie, wenn Sie nicht in Ihre Forschungsarbeit vertieft sind?
Drei Dinge, und das mit grosser Leidenschaft. Zum einen liebe ich Wandern und Skitouren, immer begleitet von meiner Frau Mietta und manchmal mit Freunden. Zum anderen lese ich gerne eine breite Palette an Büchern, von Romanen bis zu Sachbüchern. Drittens bedeutet mir Musik sehr viel. Ich höre alles von klassischen Komponisten wie Claudio Monteverdi und Johann Sebastian Bach bis zu modernen Musikschaffenden wie den Beatles und Bob Dylan. Zudem singe ich in einem Laienchor, wo wir bekannte klassische Chorwerke aufführen, wie Bachs Matthäuspassion und Poulencs Stabat Mater.
Was werden Sie nach Ihrer Emeritierung am meisten vermissen?
Die Arbeit mit jungen, klugen, motivierten Studierenden und Forschungskollegen an neuen, herausfordernden wissenschaftlichen Fragen.
Was sind Ihre nächsten Pläne?
Ich möchte weiterhin im Bereich Klimawandel und Nachhaltigkeit tätig sein. Wie das genau aussehen wird, ist noch offen.
Was darf auch in Zukunft nicht auf Ihrem Schreibtisch fehlen?
Der Laptop mit Musik, eine Tasse Tee und ein anregendes oder unterhaltsames Buch - entweder auf meinem Schreibtisch zu Hause oder auf meinem Schoss während einer Zugfahrt zu einem Bergresort.
Abschiedsvorlesung
«Interpolations, extrapolations»
Prof. Dr. Marco Mazzotti
22. November 2024, 17.15 Uhr
ETH Zentrum, Audi Max (HG F 30)
Mehr Informationen
Zur Person
Prof. Dr. Marco Mazzotti (64)
Professor für Verfahrenstechnik
Separation Processes Laboratory am Institut für Energie- und Verfahrenstechnik
Am D-MAVT von 1997-2025