Von Mikro-Robotern in der Blutbahn zum Rover auf dem Mars
Anlässlich des «Internationalen Tages der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft 2025» konnten wir ein Interview mit D-MAVT-Alumna Noah Zegna Rothenberger führen. Noah ist Robotikingenieurin am Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA in Pasadena, Kalifornien. Im Interview spricht sie über ihren Weg in die Robotik und erklärt, warum sie der Einsatz von Robotern in extremen Umgebungen reizt – ob in Blutgefässen oder auf dem Mars.
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Noah, seit drei Jahren bist Du als Robotics Systems Engineer am Jet Propulsion Lab der NASA tätig. Woran arbeitest Du dort aktuell?
Noah: Ich wurde zunächst am JPL angestellt, um an zwei Projekten mitzuarbeiten: dem «Mars Ingenuity Helicopter» und dem «Mars Perseverance Rover». Ich gehörte zu dem Team, dass die täglichen Aktivitäten des Helikopters und des Rovers auf dem Mars plant und auswertet. Zu meinen Aufgaben gehörte auch die Entwicklung der Betriebssoftware für den Helikopter und den Rover, sowie die Software zum Betrieb des «Sampling und Caching» Systems, das Proben vom Marsboden entnimmt.
Eine Herausforderung bei der Arbeit an den Mars-Missionen sind die unterschiedlichen Tageszeiten auf der Erde und dem Mars und die Verzögerung bei der Datenübertragung. Das Team arbeitet während der Mars-Nacht, um alle Anweisungen und Befehle rechtzeitig zum Mars zu senden, damit die geplanten Aktivitäten während des Mars-Tages ausgeführt werden können. Die Arbeitsschichten beginnen manchmal sehr früh am Morgen oder enden spät am Abend.
In den letzten zwei Jahren habe ich meinen Fokus auf Forschungsprojekte im Bereich der bildbasierten Technologien verlegt. Ich beschäftigte mich mit der Entwicklung von Algorithmen, die die Robustheit von Computer-Vision-Anwendungen für die planetare Erkundung verbessern. Dabei geht es vor allem um die starken Veränderungen in den Lichtverhältnissen, die durch die Position der Sonne, Geländeformationen oder fehlende atmosphärische Streuung entstehen. Die Algorithmen sollen unter anderem die Gefahrerkennung von Landungssystemen verbessern, hochauflösende Karten erstellen und Bildregistrierungen unter extremen Bedingungen ermöglichen. Aktuell arbeite ich an einem Bildgebungsprojekt, in dem wir Satellitendaten vom Südpol des Mondes verarbeiten, um potenzielle Landeplätze für künftige Missionen zu analysieren. Meine Forschung verbindet Computer Vision mit den praktischen Herausforderungen der Weltraumforschung – das ist extrem vielseitig und spannend.
Das JPL befindet sich in Pasadena, Kalifornien. Aus aktuellem Anlass: Waren die Waldbrände im Januar eine Bedrohung für das JPL?
Ja, definitiv. Am Tag, als das grosse «Eaton Fire» begann, wurde am JPL wie gewohnt gearbeitet. Erst später am Tag gab es eine Warnung wegen des starken Windes. Am Abend wurde dann klar, dass das Feuer eine Gefahr darstellte, vor allem aufgrund der extremen Trockenheit. Als das Eaton-Feuer ausbrach, mussten viele Menschen in der Nachbarschaft evakuiert werden. Der Schaden am Lab selbst blieb glücklicherweise gering. Aber mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verloren ihr Zuhause, und viele andere können aufgrund der Schäden noch immer nicht in ihre Häuser zurückkehren.
Du hast von 2016 bis 2021 Maschinenbau am D-MAVT studiert. In Deiner Bachelorarbeit bei Prof. Bradley Nelson hast Du Dich mit Mikro-Robotern zur Behandlung von Aneurysmen beschäftigt. Woran genau hast Du geforscht?
Meine Bachelorarbeit im Multi-Scale Robotics Lab beschäftigte sich mit der Entwicklung einer neuen minimal-invasiven Methode zur Behandlung von Aneurysmen im Gehirn. Es war das erste Mal, dass ich an einem Forschungsprojekt mitarbeiten durfte, und ich habe schnell gemerkt, wie viel Spaß mir diese Arbeit macht. Die Aufgaben waren sehr vielfältig: Ich habe aus MRT-Daten von Patienten ein digitales, detailgetreues 3D-Modell der Hirnarterien erstellt, das anschließend 3D-gedruckt wurde und als Testplattform für Experimente diente. Ziel war es, mit elektromagnetisch gesteuerten Mikrorobotern durch die Blutbahnen in die Aneurysmen einzudringen, um sie zu stabilisieren. Meine Arbeit reichte von der Modellierung und Simulation bis hin zu experimentellen Tests, die ich zunächst mit Wasser und später mit Tierblut durchführte. So konnte man empirisch bestimmen, welche Stromstärken das elektromagnetische System benötigt, um die Mikroroboter gegen den Blutstrom zu steuern. Die Erfahrung am Multi-Scale Robotics Lab hat mein Forschungsinteresse nachhaltig geprägt.
Wie kam es, dass Du von winzigen Robotern in der Blutbahn zu einem Rover auf dem Mars gewechselt bist?
Während meiner Bachelorarbeit stand ich vor der Entscheidung, direkt mit dem Master weiterzumachen oder vorher ein Praktikum zu absolvieren. Die Arbeit der NASA, insbesondere des Jet Propulsion Laboratory (JPL), das für seine führende Rolle in der Robotikforschung bekannt ist, hat mich schon immer fasziniert. Ein Praktikum am JPL erschien mir zunächst wie ein ferner Traum. Als ich auf meine Bewerbung hin das Angebot bekam, an der Navigationssoftware für den Perseverance Rover mitzuarbeiten, der sich damals noch in der Entwicklung befand, war ich überglücklich. Anfangs war ich aufgeregt, zu einer so renommierten Institution zu kommen, aber dann habe ich mich sehr schnell in die Arbeit eingefunden. Das verdanke ich einerseits der Unterstützung durch das JPL-Team, aber auch der Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen, die ich durch meine Ausbildung an der ETH erworben habe.
Aber um auf die Frage zurückzukommen: Tatsächlich gibt es überraschend viele Parallelen zwischen der Navigation von Mikrorobotern in Gehirnarterien und der Steuerung des Rovers auf dem Mars. In beiden Fällen ermöglichen es Roboter, für den Menschen unerreichbare Gebiete zu erforschen. Beide Szenarien stellen uns vor spannende Herausforderungen – sei es durch die winzigen Dimensionen und Strömungen in Blutgefässen oder die extremen Bedingungen auf dem Mars. Diese Herausforderungen machen für mich den Reiz aus: kreative Lösungen zu entwickeln und Systeme so zu gestalten, dass sie auch unter schwierigsten Bedingungen funktionieren.
Deine Masterarbeit hast Du dann am Departement Informationstechnologie und Elektrotechnik bei Professor Luc van Gool geschrieben?
Direkt nach Abschluss meines Praktikums am JPL erhielt ich ein Angebot für eine Festanstellung nach meinem Masterabschluss. So kehrte ich zwischenzeitlich zurück nach Zürich und setzte mein Studium im Master-Programm «Robotics, Systems and Control» fort. Da die Arbeit mit Bildverarbeitungssystemen für den Mars Perseverance Rover mein Interesse an Computer Vision geweckt hatte, schrieb ich meine Masterarbeit bei Luc van Gool am Computer Vision Lab. Ich arbeitete an einem mobilen Robotiksystem zur 3D-Rekonstruktion von Oberflächen unter unkalibrierten Lichtbedingungen - eine zentrale Herausforderung in der Robotik, wenn präzise 3D-Modelle in unkontrollierten Umgebungen benötigt werden. In meiner Arbeit kombinierte ich Deep-Learning-Ansätze mit klassischen Computer-Vision-Techniken. Dadurch konnte unser System mit nur einem Ansichtspunkt und einer einzigen Kamera präzise 3D-Oberflächen rekonstruieren – ein Beispiel, wie man mit minimaler Hardware und effizienter Algorithmik komplexe Probleme lösen kann.
Der "International Day of Women and Girls in Science" soll Mädchen und Frauen für Wissenschaft und Forschung begeistern. Ist es für Dich ein Thema, dass Frauen im Maschinenbau in der Minderheit sind?
Ja, das ist ein Thema. Nach dem Besuch eines sprachlich orientierten Gymnasiums, wo die Frauen in der Überzahl waren, war es für mich eine grosse Umstellung an der ETH. Ich habe auch oft erstaunte Reaktionen erlebt, wenn ich erzählt habe, dass ich als Frau Maschinenbau studiere. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass es wichtig ist, auf die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen und sich nicht zu sehr von der Meinung anderer beeinflussen zu lassen. Rückblickend bin ich stolz darauf, dass ich mich von Unsicherheiten nicht habe entmutigen lassen und meinen Weg gegangen bin. Gleichzeitig ist es mir wichtig, andere Frauen zu ermutigen, sich in den Bereichen Naturwissenschaft und Technik durchzusetzen. Am JPL haben wir einige hochqualifizierte Forscherinnen, die mich persönlich sehr inspirieren. In unserer Robotik-Abteilung sind Frauen allerdings noch in der Minderheit. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich das in Zukunft ändern wird. Seit fast drei Jahren haben wir unsere erste weibliche Direktorin am JPL, und ich glaube, dass solche starken Vorbilder einen grossen Unterschied machen können.
Kannst Du Dir vorstellen, eines Tages in die Schweiz zurückzukehren – vielleicht sogar an die ETH?
Ich geniesse meine Auslandserfahrung sehr und lerne enorm viel, aber meine Heimat bleibt Zürich. Ich kann mir gut vorstellen, eines Tages zurückzukehren und meine Erfahrungen in der Schweiz einzubringen – vielleicht sogar an der ETH, die mir so viele Türen geöffnet hat.
Ingenuity ist ein autonomer Hubschrauber der NASA, der im Rahmen der NASA-Mission Mars 2020 von 2021 bis 2024 auf dem Mars eingesetzt wurde. Ingenuity absolvierte seinen Erstflug am 19. April 2021 und bewies damit, dass es möglich ist, in der dünnen Marsatmosphäre zu fliegen.
Perseverance ist ein Mars-Rover, der im Rahmen der NASA-Mission Mars 2020 den Jezero-Krater auf dem Mars erkunden soll. Er wurde vom Jet Propulsion Laboratory entwickelt und am 30. Juli 2020 auf dem Mars gestartet.