Von der Simulation zur Medizin: Mikroroboter lernen, sich autonom durch Blutgefässe zu bewegen
Stellen Sie sich einen Mikroroboter vor, der sich durch die Blutgefässe des menschlichen Gehirns bewegt – und dabei aus seinen eigenen «Träumen» lernt. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Daniel Ahmed, Professor für Akustische Robotik für Biowissenschaften und Medizin am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik (D-MAVT) der ETH Zürich, hat eine neuartige Methode entwickelt, die es Mikrorobotern ermöglicht, autonomes Navigieren durch Simulation zu erlernen.
«Unser Ziel ist es, Mikroroboter zu entwickeln, die intelligent durch den menschlichen Körper navigieren und sich dabei in Echtzeit an dessen Komplexität anpassen können», erklärt Ahmed. Sein Forschungsprojekt wird von den European Research Council (ERC) durch das SONOBOTS Starting Grant gefördert. Die potenziellen Einsatzmöglichkeiten von Mikrorobotern in der Medizin sind enorm: Sie könnten künftig Medikamente gezielt zu schwer erreichbaren Tumoren transportieren, Gefässverstopfungen lösen oder mikroskopische Operationen durchführen – ganz ohne invasive Eingriffe.
Doch die Steuerung solcher Roboter im menschlichen Körper ist anspruchsvoll. Aufgrund ihrer minimalen Grösse sind herkömmliche Navigationssysteme wie GPS oder LiDAR ungeeignet. Stattdessen müssen Mikroroboter auf indirekte Methoden wie Magnetfelder, Licht oder Ultraschall zurückgreifen. Ultraschall gilt dabei als besonders vielversprechend: Er ist nicht-invasiv, dringt tief ins Gewebe ein und ermöglicht eine steuerbare Fortbewegung. Die präzise Steuerung von Mikrorobotern mittels Ultraschalls ist jedoch komplex – insbesondere in der datenarmen, mehrdimensionalen und sich ständig verändernden Umgebung des menschlichen Körpers. Eine Echtzeitsteuerung muss dabei Faktoren wie Flüssigkeitsströmungen, Interaktionen mit Geweben und die variablen Reaktionen der Roboter auf akustische Signale berücksichtigen.
Um diese Herausforderungen zu meistern, hat Ahmeds Team eine Methode entwickelt, mit der Mikroroboter in simulierten Umgebungen «träumen» können. «Wir haben virtuelle Welten geschaffen, die die physikalischen Bedingungen der Realität nachbilden. So lernen die Roboter, sich zu bewegen, Hindernissen auszuweichen und sich an neue Umgebungen anzupassen», erklärt Ahmed. Diese Fähigkeiten wenden sie später in realen medizinischen Szenarien an.
Im Zentrum der Forschung steht modellbasiertes Reinforcement Learning (RL) – eine Form der künstlichen Intelligenz. Dabei erlernen Maschinen durch wiederholtes Ausprobieren optimale Verhaltensweisen. Im Gegensatz zu klassischen RL-Methoden, die oft umfangreiche Daten und lange Trainingszeiten benötigen, zeichnet sich der modellbasierte Ansatz durch seine hohe Effizienz aus und ist optimal für die spezifischen Anforderungen von Mikrorobotern geeignet. Das Training der Roboter erfolgt wiederholt in simulierten Umgebungen, die reale physikalische Bedingungen abbilden.
In experimentellen Tests erreichten Mikroroboter, die zuvor in Simulationen trainiert wurden, eine Erfolgsquote von 90 Prozent bei der Navigation durch komplexe mikrofluidische Kanäle – nach nur einer Stunde Feinjustierung. Selbst in unbekannten Umgebungen lag die initiale Erfolgsquote bei 50 Prozent und stieg nach 30 Minuten zusätzlichem Training auf über 90 Prozent. Diese Fähigkeit konnte auch in Echtzeitversuchen unter statischen und strömenden Bedingungen in gefässähnlichen Netzwerken nachgewiesen werden.
«Unsere Studie zeigt, dass ultraschallbetriebene Mikroroboter in der Lage sind, sich in Echtzeit anzupassen», sagt Mahmoud Medany, Mitautor der Studie. «Das ist ein wichtiger Schritt hin zur autonomen Navigation in lebenden Systemen.» Durch die Kombination von Ultraschallantrieb und KI-basierter Steuerung legt Ahmeds Team den Grundstein für eine neue Generation intelligenter, nicht-invasiver medizinischer Werkzeuge.
Literaturnachweis
Medany M, Piglia L, Achenbach L, Karthik Mukkavilli S, Ahmed D. Model-based reinforcement learning for ultrasound-driven autonomous microrobots. Nature Machine Intelligence, 26 June 2025. DOI: externe Seite 10.1038/s42256-025-01054-2